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Morbus Dei: Die Ankunft  –  

Leseproben



Leseprobe 1:
Ein kleines, tief verschneites Dorf tat sich vor Johann auf, wie eins dieser tragbaren Dioramen, die er einmal bei einem Schausteller gesehen hatte, vor langer Zeit.
Die Höfe des Dorfes waren alt und verwittert, rußgeschwärzt und schmucklos, und sie schienen sich vor der klirrenden Kälte und den weißen, schroffen Bergen, die sie umgaben, zu ducken. Die massiven Eiszapfen zeugten davon, dass der Winter mittlerweile alles fest im Griff hatte. Rauch quoll aus den Schornsteinen, aber keine Menschenseele war zu sehen, und über allem lag Stille, noch unmittelbarer als in der Kammer, noch beunruhigender.
Johann sah sich um: Die Wälder hinter dem Dorf kletterten steil den Berg hinauf, die Baumgrenze war wegen der tief hängenden Wolken nicht auszumachen. Der Talkessel wirkte bedrückend, Johann kam sich vor wie in einer Falle. Nur Menschen wählen einen solchen Platz, dachte er, kein Tier würde sich freiwillig in die Ecke zwängen. Langsam ging er den Weg entlang, der zwischen den Häusern hindurchführte. Seine Schritte knirschten auf dem hart gefrorenen Schnee, ein Geräusch, unnatürlich laut, fast störend. Als Johann die Häuser auf beiden Seiten näher betrachtete, blieb er unwillkürlich stehen: Wieder starrten ihn Symbole an – dieselben wie an der Decke der Kammer und am Heustadl –, tief in die Balken über Türen und Fenster geschnitten, manchmal mit roter Farbe verstärkt.
Sie zogen ihn geradezu hypnotisch an, ließen ihn den eisigen Wind, der plötzlich aufkam, nicht spüren, obwohl er sein Gesicht brennen und seinen Atem gefrieren ließ …
Johann musste sich fast gewaltsam losreißen, zwang sich weiterzugehen. Mittlerweile wurde es dunkler, die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den schroffen Bergen. Johann beschleunigte seine Schritte; irgendetwas an diesem Dorf, an den Bergen, an der Stille war unheimlich. Er hatte sich immer auf seine Sinne und seinen Instinkt verlassen können, und sie sagten ihm nur eines, seit er durch das Dorf schritt. Verlass diesen Ort so schnell wie möglich.

© 2010 Zach / Bauer




Leseprobe 2:
Die Sonne stand schon tief, und obwohl es schneidend kalt war, dachte noch niemand daran, das Fest zu beenden. Mittlerweile hatten alle gegessen, die Kinder rutschten auf der Wiese herum, immer im Auge ihrer Mütter. Die Männer tranken Schnaps und rauchten.
Dann hörten sie es.
Alle verstummten.
Etwas heulte aus den Wäldern herab. Es war ein unheimlicher, klagender Laut, der an- und abschwoll und in den Ohren wehtat.
Johann konnte das Heulen nicht einordnen. Ein Wolf? Aber dafür war es fast –
Plötzlich begann eines der kleinen Kinder zu weinen. Der Laut aus den Wäldern brach ab, die Mutter nahm das schreiende Kind in den Arm. Alle fingen wieder an zu sprechen, aber sehr gezwungen, die gute Stimmung war dahin. Die Frauen begannen, die Tische abzuräumen.
Das Fest war zu Ende.
Johann blickte in die Wälder hinauf, aus denen das Heulen gekommen war. Glitzernd weißer Schnee, eisblauer Himmel, der sich jetzt in der Dämmerung langsam orange färbte – eine schöne Szenerie, über die sich schlagartig ein Schatten gelegt hatte.
Ein Schatten, der die Berge feindlich und den Schnee tödlich kalt wirken ließ.
Der imstande war, einem ausgelassenen Fest binnen weniger Momente alles Leben auszusaugen.
Ein Schatten – den zu kreuzen Johann gezwungen sein würde, das wusste er plötzlich instinktiv. Er fröstelte unwillkürlich, dann ging er zu den anderen, um beim Abbau der Stühle und Bänke mitzuhelfen.

© 2010 Zach / Bauer



Leseprobe 3:
Die dichten Nadelbäume ließen nur wenig Licht durch, dafür schützten sie vor dem tobenden Sturm. Immer wieder sauste eine Ladung Schnee von den Wipfeln, die vom Wind gebeutelt wurden, und ergoss sich auf den Waldboden und die Männer.     
Die Formation des Trupps hatte sich aufgelöst, die Männer suchten sich jeder selbst einen Weg durch die verkrüppelten Bäume. In regelmäßigen Abständen blieben die Soldaten im verspießten Wurzelwerk hängen, das von einer dünnen Schneeschicht hinterhältig getarnt war, und stürzten fluchend zu Boden. Die Bauern hingegen stiegen über alle unsichtbaren Fallen hinweg, sie waren das Aufsteigen im Winterholz gewohnt.     
"Eure Soldaten werden sich noch alle Knochen brechen", stichelte Riegler in Richtung des Kommandanten.     
"Vielleicht sollten wir doch besser –"    
"Halt's Maul, Bauer!" Missbilligend beobachtete der Kommandant seine Männer, ärgerte sich über ihre Ungeschicklichkeit.    
Der Nebel wurde immer dichter, bis die Sicht kaum mehr als zehn Schritte betrug. Der alte Albrecht sah besorgt in die weiße Wand vor ihnen. "Ich werd vorauslaufen, sonst rennen wir hier noch in einen Hinterhalt."     
"Ist gut, Albrecht", entgegnete der Kommandant, "aber lass dich nicht überraschen."     
Der Adjutant nickte knapp, dann eilte er davon und wurde von der Nebelwand verschluckt.     
Albrecht blieb stehen, blickte hinter sich. Das Knacken brechenden Holzes und das Klirren des Kampfgeschirrs verrieten auch einem Blinden, dass hier ein Trupp im Anmarsch war.     
Er schüttelte den Kopf. Sollte sie da oben wirklich das Unaussprechliche erwarten, wie es die Bauern beteuerten, dann würden sie sich schon von weitem verraten.    
Aber in den Wäldern vor ihnen war nichts, davon war Albrecht überzeugt. Märe und Aberglaube, die mit der Zeit immer mehr aufgebauscht wurden, waren eine Spezialität der Landbevölkerung.    
Und wenn sie nichts finden würden – Albrecht wusste, dass sein gesamter Trupp des Totschlagens müde war, aber wahrscheinlich würde der Kommandant ein Exempel statuieren.    
Statuieren müssen.    
Albrecht blickte wieder nach vorn, stutzte: Undeutlich konnte er etwas im Nebel erkennen, es schien zwischen den Baumgruppen vor ihm zu hängen … Er beschleunigte seine Schritte, umfasste seinen Säbel.    
Umrisse verdichteten sich. Bäume. Und dazwischen –    
Der alte Kämpfer, der schon so viel gesehen hatte, blieb stehen, sein Säbel fiel in den Schnee.    
Das Unaussprechliche war eingetreten.

© 2010 Zach / Bauer

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